stirbt der bierdeckel aus

Stirbt der Bierdeckel aus?

Stirbt der BIERDECKEL aus?

Heuer bei schönstem sonnigen Herbst-Biergartenwetter erreichte uns die Nachricht eines Stammlesers. „Es geht um nichts Geringeres als um das Aussterben (!) einer Utensilie, ohne die ich mir in meinem nun gut 60-jährigen Leben einen Wirtshausbesuch nicht vorstellen kann – den Bierdeckel alias Bierfilzl“, schreibt uns der Liebhaber der Bayerischen Wirtshauskultur und zeigt sich erschüttert. Er ist sicher, der Bierdeckel ist am Aussterben. In Restaurants des asiatischen und südlichen europäischen Auslands und immer häufiger auch in „gut“ bayerischen Wirtschaften …


Ist die Sorge begründet?


Wir wollen es genau wissen und tatsächlich, der Verdacht liegt nahe, dass die Tage des Bierfilzls gezählt sind. In einem griechischen Restaurant erfahren wir, dass es dort Bierdeckel nur im Sommer gibt, weil sie da im Biergarten die Wespen vom unfreiwilligen Bierbad abhalten. Hier wird das Bierfilzl also unter Umständen sogar zu einem lebensrettenden Utensil, aber eben nur im Sommer. Im Winter gehen Wespen nicht zum Griechen.
In einem vietnamesischen Restaurant erklärt man uns: „Bieldeckel sind nicht modeln und passen nix zul die Einlichtung.“ Wir fragen uns, ob es zum Stil des Restaurants passt, dass man auf den Hochglanztischen anhand der pappigen Ringe noch genau sehen kann, wie viele Personen hier vorher saßen. Kein Zweifel. Wer den Bierdeckel als unmodern bezeichnet, hat nicht viel Bezug zu heimischer Wirtshauskultur und kennt nicht die lange Historie des Pappdeckels.


Untersetzer mit langer Geschichte


Ganz früher hatten die Bierseidel der betuchteren Leute Deckel aus Zinn oder sogar Silber, um das Getränk im Biergarten vor Insekten zu schützen. Die einfacheren Zeitgenossen tranken ihr Bier aus Krügen ohne Deckel und legten die damals gebräuchlichen Filz-Untersetzer auf die Krüge. So entstand der Name „Bierfilz“, weil bis Ende des 19. Jahrhunderts Filz der einzige Rohstoff zur Herstellung dieser Glasuntersetzer war. Das Gewebe war meistens feucht, voller Bakterien und muffelte ganz schön. Damit man die Bierfilze am nächsten Tag wieder benutzen konnte, wurden sie vom Wirt zum Trocknen aufgehängt – nicht gerade hygienisch.


Das Bierfilzl, keine bayerische Idee


Wer bis dato glaubte, Bierdeckel seien natürlich eine bayerische Erfindung, den müssen wir enttäuschen. Der „Bierpappdeckel“, wie wir ihn heute kennen, hatte 1880 bei der Kartonagenfabrik und Druckerei Friedrich Horn in Buckau bei Magdeburg Premiere. Dort stellte man die ersten Bieruntersetzer aus Pappe her und bedruckte sie. Schon bald waren sie unter aller Gläser. Die Wirte liebten sie. Die Deckel schonten ihre Tische, mussten nicht mehr wie die Urbierdeckel aus Filz gewaschen werden und vor allem, sie kosteten nichts, denn alle möglichen Firmen, allen vorneweg die Brauereien, platzierten fortan ihre Werbung auf den Untersetzern.


Der Bierdeckel, viel mehr als nur ein Stück Pappe


Heute weiß man: Bierdeckel sind praktisch und erfüllen unkompliziert genau den Job, für den sie einmal erfunden wurden: Sie halten den Tisch trocken, Insekten fern und leisten noch viel mehr. Sie waren schon immer auch eine gute Hilfe bei der Endabrechnung im Wirtshaus. So mancher Wirt hätte das ein oder andere Bier vielleicht vergessen, hätte er nicht die Gedankenstütze Bierdeckel gehabt. Bis heute gilt der Bierdeckel übrigens als amtliches Dokument, sobald der Wirt ihn mit rechnungsrelevanten Notizen (Stricherl) beschrieben hat. Davon etwas zu entfernen oder gar den ganzen Deckel verschwinden zu lassen, gilt als Straftat!


Im Lauf der Zeit merkte man schnell, wozu diese kleinen praktischen Pappdeckeluntersetzer auch anderweitig eingesetzt werden konnten: Bauen von Bierdeckelhäusern mit Kindern, Notieren von Schulden beim Karteln, Unterlegen bei wackelnden Tischen und nicht zuletzt – wenn auch im Handyzeitalter nicht mehr ganz so wichtig – das Notieren von Telefonnummern neuer Bekanntschaften.


Bierdeckel als wertvolles Objekt


Für manche Zeitgenossen sind Bierdeckel nicht einfach nur Untersetzer. Für sie sind es Überflieger. Sie sehen in ihnen kleine Kunstwerke, ja sogar wertvolle Sammlerstücke. Leo Pisker aus Langenzersdorf in Österreich ist mit seinem Archiv von über 150.000 unterschiedlichen Bierdeckeln aus aller Welt Rekordhalter und er ist beileibe nicht der Einzige, der der Bierdeckelsammlerleidenschaft verfallen ist. Es gibt noch ganz andere Rekorde, die man mithilfe von Filzln einfahren konnte. Der höchste Bierdeckelturm wurde 1988 im nordrhein-westfälischen Bocholt errichtet – er war 9,70 Meter hoch und bestand aus 42.432 Bierpappen und der Rekord im Bierdeckelweitwurf liegt bei stolzen 38,26 Metern. Der Bierdeckel, ein Allrounder! Und dennoch: Etwas macht uns Angst.


Der Bierabsatz schrumpft, und so ging auch der weltweite Bierdeckelbedarf in den letzten Jahren zurück - so stark, dass der Branchenführer der Bierdeckelherstellung 2009 sogar Insolvenz anmelden musste. Werden unsere geliebten Bierdeckel also doch langsam sterben, still und leise von Theken und Kneipentischen verschwinden? Das müssen wir wohl dennoch nicht befürchten. Auch im digitalen Zeitalter bleibt das Bierfilzl ein wichtiges Kommunikationsmittel. Es gibt ihn mit politischen Slogans bedruckt, eine Energie-Initiative aus Rosenheim serviert auf Bierdeckeln Tipps zur Einsparung von Treibhausgasen, es gibt ihn als Augmented-Reality-Bierdeckel, der einen, wenn man sein Handy dagegenhält, zum nächsten Gewinnspiel lotst. Es gibt Bierdeckel mit Kreuzworträtsel, Bibel- und Flirtsprüchen, Rubbelfeldern und welche, die nach Apfel oder Schokolade riechen. Ein Bierdeckel vom Hofbräuhaus Traunstein hat vor Jahren sogar einen Sexismus-Skandal ausgelöst, weil man zwei gut eingeschenkte Bierkrüge vor einem üppigen Dirndl-Dekolleté aufgedruckt hatte. Man merkt, Ideen für die Bierdeckel-Nutzung gibt es genügend. Aber wie so oft haben wir es nicht in der Hand, was mit dem Bierfilzl passiert in nächster Zukunft, oder auch nur im nächsten Sommer. Das entscheiden letztendlich die Wirte … und die Wespen. 

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